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Der kleine Lucas ist mit Flamenco-Rhythmen aufgewachsen. Fast alle in der Familie sind Musiker. Aber wenn als
Gitarrenlehrer der eigene Vater fungiert, der überdies noch Bandleader von ‘Ketama’ ist, der
erfolgreichsten Flamenco-Formation Spaniens, dann wechselt man vielleicht doch lieber das Instrument. Und
tatsächlich singt der 10jährige Lucas großartig.
Vor einem halben Jahrhundert tingelte sein Großvater Juan Carmona im gleichen Alter wie Lucas durch
andalusische Kneipen und Nachtclubs,
um Geld für die Familie zu verdienen. Die Zeiten nach dem Bürgerkrieg waren hart für die
Gitanos, die spanischen Zigeuner.
Für sie ist die Familie das Wichtigste - und die Musik. Und kaum eine Familie hat den
zeitgenössischen
Flamenco so geprägt wie die Carmonas.
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Mit 18 Jahren verließ Juan seine Heimatstadt Granada, um in Madrid zu einem der gefragtesten Flamenco-Gitarristen zu
avancieren. Natürlich holte er die Familie nach: seinen Bruder Pepe, der später Platten mit Jazzgrößen wie Don
Cherry und indischen Musikern aufnehmen sollte, die Frauen, die ihre Karrieren als Flamenco-Tänzerinnen der Familie opferten,
und die Kinder.
Vater Juan tourte um die Welt, er hatte kaum Zeit für seine Jungs, die Ende der siebziger Jahre im überschwänglichen,
drogendurchsetzten Nachtleben Madrids unter die Räder zu kommen drohten.
Doch insgeheim bastelten Juan junior, sein Bruder Antonio und später auch Cousin Josemi an ihrer eigenen Musik: Flamenco
elektrisch verstärkt, mit arabischen, lateinamerikanischen, Jazz- und Rock-Elementen. 1986 entstand ihre Band ‘Ketama’.
Nach kurzer Zeit stürmte ihr "Nuevo Flamenco" die Charts. Inzwischen zählen sie zu den größten Musikstars
auf der iberischen Halbinsel und geben Konzerte in aller Welt.
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Für Lucas´ Gitarrenunterricht ist da wenig Zeit. Also bleibt er beim Singen. Sein älterer Bruder hat
gerade mit der eigenen Band einen ersten Platten-vertrag unterschrieben. Der weit verzweigte Carmona Clan hängt in
Madrid eng zusammen. Man trifft sich zu Hause oder in den Flamenco-Tablaos - die Gitarre immer griffbereit - bei
Konzerten befreundeter Musiker oder im Plattenstudio.
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Einmal im Jahr brechen sie auf und fahren nach Granada, der Stadt ihrer Kindheit, wo immer noch ein großer Teil
des Carmona Clans lebt, wenn auch nicht mehr in den Höhlenwohnungen auf dem Sacromonte. Doch zum großen
Familienfest der Carmonas treffen sich alle hier, im alten Gitano-Viertel. Natürlich gibt es ein großes
Hallo, Essen, Trinken und viel zu besprechen. Die properen Neugeborenen werden stolz ihrem Urgroßvater Miguel
präsentiert, der in den 30er Jahren für einen Hungerlohn in den Bordellen Granadas spielte.
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Am Abend werden die Instrumente ausgepackt. Die Jungs zeigen, was sie auf der Gitarre drauf haben,
die Mädchen schauen ihren feschen Tanten die Tanzschritte ab. Spät in der Nacht kulminiert das
alles in der ‘Juerga’, wo improvisierter Gesang die Tänzer und Tänzerinnen anfeuert. Dem Stakkato der
Schuhabsätze, der Trommeln und klatschenden Hände können die Gitarristen kaum folgen.
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Selbst Großvater Juan lässt sich von seiner umwerfend hübschen Nichte auf die Tanzbühne locken.
In dieser wunderbaren Nacht, nur einmal im Jahr, da singen, tanzen und spielen die Musiker des Carmona Clans nicht
für ihr Publikum, sondern für sich selbst.
Autor und Regisseur Michael Meert, erzählt in "Der Flamenco Clan" das vier Generationen umspannende Epos iner
Gitano-Dynastie. Zusammen mit seinen höchst lebendigen Protagonisten unternimmt der Film eine innere und
äußere Reise zu den archaischen Wurzeln ihrer Musik in den Höhlen des Sacromonte, um von hier
aus die Entwicklung des zeitgenössischen Flamenco und nicht zuletzt des modernen Spaniens zu spiegeln.
(Szenenfotos: Antonio Navarro)
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