Michael Meert
Filemacher / Film-Director
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TORERO!
Treatment für einen abendfüllenden Dokumentarfilm
von Michael Meert

1
Die Sonne brennt über den Jahrtausende alten Eichenwäldern Andalusiens. Dunkle Silhouetten nähern sich aus der Ferne. Schwarze Stiere. Staubwolken verschleiern die Sicht. Im Schatten einer Baumgruppe drängen sich einige Tiere. Die Stierkuh wirkt ruhig, aber in den Augen spiegelt sich höchste Anspannung. Stille umgibt sie, nur von leichtem Schnauben unterbrochen.
Dann ein Geräusch wie das Klatschen eines nassen Handtuchs. Die Kuh wendet sich dem Neugeborenen auf dem Boden zu und mit ihrer rauhen Zunge beginnt sie die Fruchtblase zu entfernen - so, als wäre das eine Sache, die sie jede Woche ausführen würde. Der kleine Stier liegt erschöpft auf dem Boden, hat die Augen aufgeschlagen und ist noch ganz weit von dem entfernt, was ihn später einmal erwartet.

2
Luis Francisco Esplá blickt gelassen über die Ebene von La Mancha. Er ist gerade vom Pferd gestiegen und tätschelt ihm den Hals. Luis genießt die Stille. Leichter Wind kühlt das ausgedörrte Land. Wenig später reitet er im Galopp auf das Tor der Finca "El Tamaral" zu. Zwei Männer öffnen das Tor. Er grüßt lässig eine Gruppe von Männern auf der Veranda. Er sucht mit den Augen den Blick eines alten Mannes mit faltigem, sonnenverbranntem Gesicht. Don Gerardo, der "Observador" (Beobachter). Der löst sich aus der Gruppe und begleitet Luis, der inzwischen vom Pferd abgestiegen ist, zu den Ställen. Sie verständigen sich mit wenigen Worten. Don Gerardo ist das Gedächtnis der Finca: Jedes Tier, das in der Herde aufwächst, wird von ihm beobachtet. Er kennt das Muttertier genau, alle seine Eigenschaften und er beobachtet, wie sich diese in dem Kleinen manifestieren. Von seinem Urteil hängt viel ab, auch die Entscheidung, welcher Stier schließlich bei der Corrida antritt.

3
Luis Francisco Esplá ist ein Star unter den Toreros. Gleichgültig in welcher Stadt, in welchem Dorf er auftaucht, wird er erkannt und mit großem Respekt begrüßt. Luis Francisco ist freundlich nach allen Seiten und sehr bescheiden. Er hat in diesem Jahr die 50 überschritten, wirkt aber fast jugendlich mit seiner schmalen, grazilen Statur, seinen Turnschuhen und einem modernen Rucksack, in dem er seinen Laptop mit sich trägt. Er hat sich gegen alle Klischees gestellt, hat Malerei studiert, hat eine Kindertherapiestation mit Pferden aufgebaut, und doch ist er ein klassischer Torero.

In der berühmten Arena von Nimes fand 2008 sein Leben fast ein abruptes Ende, was immer wie ein Damoklesschwert über dem Matador schwebt: der Toro gewann den Kampf, er erwischte Luis mit den Hörnern und riss ihm so schwere Wunden, dass nur der schnelle Transport mit dem Hubschrauber in eine Spezialklinik ihm das Leben rettete.
Er hatte im Krankenhaus viel Zeit zum Nachdenken. Nach Monaten war er wieder hergestellt und er trainierte hart, um weiter in der Arena zu stehen. Aber er hat die Niederlage in Nimes als deutliches Zeichen verstanden. Die Zeit ist gekommen, um seine Karriere mit einer Reihe abschließender Kämpfe zu beenden, in Arenen, die im Laufe seines Lebens wichtig waren.



4
Luis hat einen Sohn, Alejandro, den er auf Wunsch seiner Frau Mimi von der Corrida fernhielt. Alejandro entwickelte sich zu einem hervorragenden Sportler: Mit 20 Jahren wurde er spanischer Jiu Jitsu Meister und während seines Studiums an einer amerikanischen Universität war er Mitglied der erfolgreichen Tennismannschaft.
Aber dann, mit 22 Jahren, stellte Alejandro sich völlig unerwartet vor den Vater und sagte: Sport genügt mir nicht. Ich suche etwas anderes und ich werde deine Nachfolge als Torero antreten. Ein Schock für die Familie. Luis Frau Mimi besucht niemals einen Kampf ihres Mannes. Sie würde es eigentlich gerne sehen, wenn die Corrida abgeschafft würde. Aber jetzt beginnt ihr Sohn diesen Weg.

Um als Torero zu debütieren, muss ein anerkannter Matador die Patenschaft übernehmen – das heißt bei dem ersten Auftritt in einer Corrida den Degen zu übergeben und im Fall großer Gefahr zur Hilfe eilen. Luis Francisco möchte das für seinen Sohn tun, bevor er abtritt. Vielleicht gerade, weil er ihm immer abriet und nun das Schlimmste verhindern möchte.

5
Der junge Stier wächst zusammen mit der Mutter auf, fern von den Menschen. Zusammen mit der Herde durchstreifen sie das ausgedehnte Land der Finca. Der Toro Bravo ist ein freies Tier – auch wenn er heute im Terrain des Menschen aufwächst. Die Verbindung zu ihm ist die zu einem Urtier. Dem UR eben! Höhlenmalereien zeugen von seiner Bedeutung seit den frühesten Kulturen. Später konkurrierte der Mithras-Kult im römischen Reich mit dem Christentum. Weltweit ist in den frühen Religionen und Mythen der Stier eine Gottheit - sowohl mit männlichen als auch weiblichen Elementen! Durch die Corrida haben die Ur-Stiere überlebt und die besondere Beziehung des Menschen zu ihnen.

Unter dem südlichen Sternhimmel ziehen die kleinen Herden umher. Nachts wandert Orion – der Mann mit dem Schwert - majestätisch von Ost nach West. Er möchte die schönen Atlastöchter, die Plejaden erreichen. Taurus, der Stier, steht schützend vor ihnen.
Die Tiere verbringen die Nächte eng bei einander. Eine unangreifbare Gruppe. Tagsüber dann geht jeder seiner Wege. Kleine weiße Reiher sind dann immer in der Nähe der schwarzen, massigen Tiere und zupfen ihnen das Ungeziefer aus dem Fell. Eine uralte Symbiose.

6
Luis und Alejandro haben sich in Lissabon verabredet, wo die katholische Universität ein Colloquium zum Stierkampf veranstaltet. Nach Jahren, in denen Vater und Sohn sich fremd waren, verbringen sie nun sehr viel Zeit zusammen.
In Portugal wird der Stier in der Arena nicht getötet. Es wird auch sehr viel vom Pferd gearbeitet. Der Torero reitet und läßt sich vom Stier verfolgen, um ihn dann möglichst elegant abzulenken. Ein äußerst riskantes Spiel, welches eine superbe Reittechnik erfordert und eine genaue Kenntnis der Verhaltensweisen der Stiere. Das wilde Tier, die Bestie, wird hier domestiziert. Schritt für Schritt lernt sie, wer der Herr ist. Es hat sicher etwas mit der Abrichtung der ersten Tiere durch die Menschen zu tun – aber es ist ein Prozeß, der sich in ein künstlerisches Ritual verwandelt hat.

Vater und Sohn wohnen einer Stierkampfform bei, die man "La Pega" nennt. Eine Gruppe junger Leute stellt sich einem Kampfstier gegenüber auf und muß den Stoß, den das Tier gegen sie führt, parieren. Es hat etwas Komödiantisches und erscheint oft als pures Entertainment, was es wohl auch ursprünglich war. Die jungen Männer in der Züchter-Gesellschaft zeigten so ihre Kraft und Wendigkeit, um die jungen heiratsfähigen Mädchen zu beeindrucken. Die beiden Esplás amüsieren sich köstlich.

Der Stierkampf in Spanien hat dagegen etwas fast Getragenes, Langsames und sehr Ernstes. Beim genaueren Hinsehen fällt auf: der Mensch zwingt das wilde Tier dazu, sein Ungestüm zu bändigen und sich dem Konkurrenten unterzuordnen, seinem Rhythmus zu folgen. Dabei gehen Mensch und Tier eine wahrhaft hautnahe Verbindung ein, die manchmal an einen Tanz erinnert. Luis Francisco hat dieses Element der tänzerischen Drehungen besonders ausgebaut und wird zu den Toreros des künstlerischen Stils gerechnet. Gleichzeitig sucht er die Konfrontation mit besonders gefährlichen Stierrassen.

7
Luis Francisco hat seit frühester Kindheit hautnah mit den Stieren gelebt und gearbeitet. Sein Vater, Paquito Esplá hatte in Alicante eine eigene kleine Arena und veranstaltete Corridas. Gleichzeitig wurde der Platz als Openair-Kino genutzt.
Früh am Morgen geht Alejandro in die kleine Arena seines Großvaters und unter der alten Leinwand beginnt er mit dem Gerät zu üben, welches schon sein Vater benutzte: ein Stierkopf aus Holz, mit dem die Angriffsbewegungen des Tieres imitiert werden. Immer wieder, immer intensiver verbeißt er sich in das Training und der Großvater ermuntert ihn.

Luis Francisco wiederum sieht zu, wie schlecht es dem Jungen am Anfang ergeht, als er vor den ersten Toros steht. Er spürt die Angst, die der Junge überwinden muß. Er erkennt am Anfang nicht, daß es auch um seine eigene Beziehung zum Sohn geht, daß es um den Prozess des Lernens, des Weitergebens von Wissen geht, und daß erst auf dieser Basis dann das Eigene entstehen kann. Er erkennt aber doch sich selber in dem Jungen, obwohl die beiden auf den ersten Blick so verschieden erscheinen.
Nun unterstützt er Alejandro und fast täglich sind sie zusammen. Luis versucht mit ganzer Kraft sein Wissen an den Sohn weiterzugeben. Das Ziel ist markiert und hoch gesteckt.

Luis Francisco ist einer ganz wenigen Toreros, die sich der leidenschaftlichen Kritik der Stierkampfgegner in öffentlichen Debatten stellen. Die Corrida wird als reine Tierquälerei bezeichnet, einer modernen Gesellschaft nicht würdig. Luis Francisco antwortet immer bewußt provozierend: die Moderne hat den Tod versucht abzuschaffen, sagt er mit bedächtiger Stimme. Sie verbannt ihn in sterile Krankenhäuser und was die Tiere angeht in authomatisierte Schlachtfabriken aus denen nur sehr selten einmal Bilder in die Medien gelangen. Bis auf wenige überzeugte Vegetarier sind wir doch Nutznießer des tierischen Proteins, wir töten und essen Tiere, ohne ihnen aber eine Referenz, ohne ihnen Respekt zu erweisen. Genau das macht das Ritual des Stierkampfes: es thematisiert das Verhältnis Mensch und Tier in seiner dramatischsten Form.

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Unser junger Stier ist inzwischen drei Jahre alt und ein vor Kraft strotzender, frecher Teenager, dem man den Namen "Huracan" gegeben hat. Es ist faszinierend ihm zuzusehen, wie er sich fast spielerisch eine Position in der Gruppe erkämpft. Das beginnt mit Geräuschen der Zuneigung oder der Drohung, das geht von der Haltung bis zu ganz eindeutigen Attacken mit Hörnern, die sich zu gefährlichen Waffen herausgebildet haben. Ständiges Training – Stöße gegen Baumstämme und in die Erde – lassen den Stier begreifen, wie er am besten seine Waffen gebraucht, wie er am besten auf das Objekt zurast und in welchem Moment der optimale Stoß geführt wird: Ein Ruck hinter dem die Wucht von einer Tonne Gewicht steckt und der den getroffenen Gegner töten kann. Er ist nun erwachsen und sucht eine dominante Position in der Gruppe. Das führt zu ständigen Rangeleien und Kämpfen. Wir können verfolgen, wie ein Stier sieht und wie er sich positioniert. Der Toro Bravo hat einen ausgeglichenen Charakter. Er hat gelernt seine Kraft genau kalkuliert einzusetzen. Sein Rhythmus, seine Bewegungen sind sehr präzise. Das gibt dem Torero die Chance ihn zu berechnen – aber er hat dazu nur Bruchteile von Sekunden. Es erfordert großes Talent, Beherrschung der Nerven und jahrelanges Üben.

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Wir begleiten die Toreros bei ihren Besuchen auf der Finca in den andalusischen Bergen. Der Kontakt zu den Tieren ist ein Bedürfnis und im Frühjahr, wenn sie in bester Form sind, werden die "Tientas", die Probekämpfe veranstaltet. Auf den Zuchtfarmen wird ein Geheimnis um die Tientas gemacht, die Erkenntnisse über die Tiere bringen und in dem sich junge Männer und heute auch Frauen in der Ausbildung zum Torero ausprobieren können, ohne gleich mit den ausgewachsenen Stieren ihr Leben riskieren zu müssen.
Nach langer Verhandlung dürfen wir Luis Francisco und Alejandro mit der Kamera begleiten. Luis hat einen sehr persönlichen Umgang mit den Tieren, von denen jedes einzelne wohl bekannt ist und seine Geschichte in einem dicken Buch aufgezeichnet wird.

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Alejandro will mit aller Kraft einen eigenen Stil entwickeln, der sich von dem seines Vaters unterscheidet. Er muß eine ganz eigene Körperhaltung entwickeln. Er versucht das mit den zweijährigen Kühen, die für die Proben in die Arena gehen. Allein durch Körperhaltung und Blicke versucht er sie zu kontrollieren. Die jungen Tiere sind äußerst motiviert dem Zweibeiner einen kräftigen Stoß zu versetzen. Sie sind ungeheuer agil und bringen Alejandro in Bedrängnis. Immer wieder muss er sich auf dem Kopf des Tieres abstützen und hochspringen, um den Hörnern auszuweichen, die allerdings bei den jungen Stierkühen nicht im Entferntesten die Gefahren eines erwachsenen Tieres bergen. Hinter allem spürt man die für Alejandro existentielle Frage: Werde ich es schaffen? Werde ich die großen, ausgewachsenen, schlauen und wuchtigen Toro Bravos in der Arena beherrschen können?

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"Huracan" ist nun ausgewachsen zu einem Muskelpaket von 600 Kilo.
Er hat sich prächtig entwickelt, ist der unangefochtene Herr seiner Gruppe – und nun soll er an einen Veranstalter von Corridas verkauft werden. Reiter treiben das wilde Tier mit seiner Herde durch die staubigen Täler. Dort wird er beobachtet, Taxiert und dann beginnt ein Feilschen um den Preis, der in die zehntausende gehen kann.

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Alejandro kämpft (man sagt "arbeitet") seine ersten Novilladas. Das sind öffentliche Stierkämpfe in größeren Arenen, in denen sich junge Anwärter präsentieren und gegen dreijährige Toros als Vorbereitung zur Alternativa antreten. Diese Tiere sind äußerst agil und motiviert. Ihnen fehlt aber die Kampferfahrung. Dadurch sind ihre Stöße nur sehr selten tödlich und der Anfänger kann sich bei ihnen ausprobieren. Das führt dazu, das gerne größere Risiken eingegangen werden, um zu zeigen, das man schon reif ist, als Torero zu debütieren.

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Der Handel ist abgeschlossen. Zum ersten Mal in seinem Leben wird "Huracan" in einen Lastwagen getrieben, zum ersten Mal wird er auf Reisen gehen. Durchgerüttelt im Transporter macht dieser Kollos doch einen gelassenen Eindruck. Es werden immer ein paar Tiere aus seiner Herde mitgenommen und das gibt ihm Ruhe und Vertrauen. Er ist unterwegs. Etwas Neues für ihn, aber da er keine Gefahren kennt, nimmt er alles ziemlich ruhig hin.
Der Toro Bravo kennt keine Angst, er hat keinen Fluchtinstinkt!
Er kennt seine Stärke und verlässt sich darauf.

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Da der Abschied seines Vaters aus der Arena unmittelbar bevorsteht, hat Alejandro besonderen Druck. Deshalb riskiert er in den Probekämpfen oft mehr, als gut ist. Er wird auf die Hörner genommen und verletzt. Sein Vater sieht bei den Novilladas mit sorgenvollem Gesicht zu. Wenn er selber kämpft, kennt man ihn nur entspannt. Doch nun ist er aufgeregt und unsicher, ob sein Sohn es schaffen wird.
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Auf der Finca reitet Don Gerardo, der "Beobachter", mit den jungen Tieren, die aus "Huracan"s Herde geblieben sind. Er vermißt seinen Lieblingsstier und er beobachtet, wie auch die Tiere Probleme haben, sich neu in der Gruppe zu orientieren. Eine solch starke Persönlichkeit wie "Huracan" gibt es nur ganz selten. Er ist stolz auf das Tier und es fällt ihm schwer zuzugeben wie schwer es ihm fällt, die Trauer um den Verlust niederzukämpfen.

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Luis Francisco bleibt bei seinem Entschluß einer Abschiedstournee. Das führt ihn in die gefürchtete Arena von Madrid.
Der Stier-Kampf ist streng ritualisiert. Es geht nicht darum ein Tier abzuschlachten. Es geht nicht nur ums "gewinnen". Das Ritual ist aufgebaut, wie ein klassisches Drama: Protagonist und Antagonist stehen sich gegenüber. Herausforderung, Beleidigung, Liebe, Haß, Wut, Respekt etc. über viele oft völlig überraschende Wendungen entwickelt sich die Beziehung und steuert auf einen Höhepunkt zu. Der Torero muß in wenigen Augenblicken das Wesen und die Eigenarten des Stiers erfassen und dann in vorgegebenen Abschnitten zeigen, daß er mit dem Stier besondere Figuren meistert. Ein Pas de Deux zwischen Mensch und Tier.

In der Arena erreicht Luis Francisco eine Art Trancezustand. Alles das, was die Fiesta Taurina umgibt, der ganze Geschäftsbetrieb und die Medieneitelkeiten treten in den Hintergrund. Die Wahrnehmung verengt sich und korrespondiert so auf seltsame Weise mit der Wahrnehmung des Stiers, der in einem sehr eingeschränkten Gesichtsfeld auf optische und akustische Impulse reagiert. Der Stier sieht in Schwarz/weiß (die Farbe des Tuches ist also egal).
Zudem sind seine Augen so ausgerichtet, das er zu beiden Seiten ein großes Feld kontrolliert. Eine Fähigkeit, die auf den weiten Weiden und umgeben von anderen Tieren eine optimale Kontrolle erlaubt und den Stier immer im richtigen Augenblick reagieren lässt.
Was aber direkt vor seiner Nase passiert, sieht der Toro nicht. Er hat in gewissem Sinne vorn, direkt vor sich, einen toten Winkel.
Und damit arbeitet der Torero. Er führt die Fähigkeit des Menschen vor, sich in andere Kreaturen hineinzuversetzen und mehrere Schritte im Voraus zu antizipieren. Er zwingt das wilde Tier dazu, sich seinen Bewegungen, seinem Rhythmus anzupassen, mit der Gesamtheit der Bewegungen ein harmonisches Ganzes zu kreieren.
Der Verlauf eines Kampfes ist unvorhersehbar. Bei gutem Verlauf erreicht das Publikum zusammen mit dem Torero eine kollektive Katharsis. Der Toro Bravo spielt dabei fast die Hauptrolle. Ohne ihn läuft gar nichts. Rational ist das schwer zu beschreiben. Visuell und akustisch vermittelt sich der rituelle Akt: Der Eintritt in eine andere Sphäre.

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Genau da möchte Alejandro auch hinkommen!
Seine "Alternativa" ist nun fest programmiert. Er versucht ruhig zu bleiben und verbringt viel Zeit mit seinem Großvater. Er sucht dessen Abgeklärtheit und er meidet seine Mutter. Die wiederum sucht die Nähe zu Alejandros Freundin Carla.
Viele Fragen stehen im Raum: Ist er wirklich schon so weit oder setzt ihn der Abschied seines Vaters unter Druck? Hat es heute überhaupt noch Sinn heutzutage diesen Weg zu gehen?

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"Huracan" kommt in Alicante an. Was in dem Tier vorgeht, werden wir niemals wissen. Aber wir beobachten ihn über kleine Microkameras auf seinem Weg in eine unbekannte Welt – auf seinem letzten Weg.

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In der Plaza von Alicante – in heimischem Territorium also - muß Alejandro nun beweisen, daß er reif ist, die Nachfolge seines Vaters anzutreten. Nach hartnäckigem Drängen bekommen wir von der Comisaria der Guardia Civil in Alicante die Genehmigung in der Plaza, im "Callejon" mit zwei Kameras dabei zu sein, d.h. in der Zone zu sein, in die sich die Toreros zurückziehen, bevor sie in die Arena hinausgehen.
Hier sind wir auf Augenhöhe mit den Ereignissen.
Bei Alejandro spüren wir nun die extreme Nervosität und die Anstrengung ganz "da zu sein" und die Ängste zu verdrängen. Er legt den Kopf auf die Muleta – dem roten Tuch - und betet und dann trinkt er aus einem kleinen silbernen Becher, an dem ein Amulett befestigt ist, welches er küsst. Das wird er während der Corrida in jeder Pause wiederholen und kleine Schlucke Wasser trinken.
Sein Vater ist heute in Bluejeans und kariertem Hemd, eine geradezu unscheinbare Erscheinung. Er stellt sich ganz in die Nähe Alejandros, aber zu meinem großen Erstaunen sprechen sie kein Wort miteinander. Sie sehen sich nicht einmal an!
Luis Franciscos Gesicht ist ernst. Ganz das Gegenteil von seinem Ausdruck, wenn er selber im "Lichter-Anzug" steckt. Dann wirkt er ruhig und heiter. Heute spüre ich nur Anspannung und Sorge.

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"Huracan" stürmt auf den Platz.
Alejandro versucht in jeder Hinsicht zu zeigen, das er schon ein ganzer Torero ist. Er sucht den engsten Kontakt mit dem Tier, empfängt den Stier zweimal im Knien, einer der ganz gefährlichen "pases", der das Publikum sofort in Höchstspannung versetzt.
Der Stier rast eng an ihm vorbei, wieder und wieder, Alejandro feuert ihn mit Rufen an. Er soll nicht stoppen, alles soll fließen... und da passiert es. Das Horn erwischt ihn unter der Achsel, er wird hoch geschleudert.
Ein Aufschrei geht durch die Ränge, besonders wo Alejandros Freundin Carla mit ihren Schwestern sitzt.
Alejandros Team stürmt los, um ihm zu helfen. Luis macht eine Geste mit dem Arm, als wollte er etwas rufen. Zieht sich dann aber zurück und verharrt wie erstarrt, mit einem Arm in der Luft. Er kann nichts tun. Sein Sohn ist allein.
Alejandro rappelt sich auf. Er braucht sichtlich Zeit, um sich zu erholen und das schmerzverzerrte Gesicht unter Kontrolle zu bringen.
Der Stier wirbelt zwischen den drei Helfern hin und her. Da hebt Alejandro die Arme und ruft: "Laßt mich alleine! Weg! Geht weg! Laßt mich!"
Er bekommt wieder die Muleta gereicht, sammelt sich und konzentriert sich auf das Tier, welches nun abwartend vor ihm steht.
Ein Raunen geht durch die Ränge, als der Stier "Huracan" wieder Anlauf nimmt...

21
Wir wissen noch nicht, wie diese schwere Bewährungsprobe des jungen Toreros, wie das Opfer des Stiers ausgeht. Eine Corrida de Toros ist absolut unvorhersehbar!

22
Wenige Wochen danach aber wird sich Luis Francisco definitiv aus der Arena verabschieden. Das Ende einer Ära. Er hat die Plaza von Zaragoza gewählt. Der Platz an dem seine Karriere vor über dreißig Jahren begann. Das Publikum ist hier besonders kritisch. Er hofft also auf eine gute Zusammenarbeit mit dem Toro um einen guten Schlußpunkt unter seine Karriere zu setzen. 23
Der Tod dieses Toros, seines letzten Toros, wird zum Sinnbild werden. Die Ära dieses archaischen Rituals geht ihrem Ende entgegen.

24
Der Moment nach dem Kampf. Die Zeit scheint still zu stehen. Das Publikum wirkt meist still, fast erschöpft nach vielleicht euphorischen Momenten, je nach Verlauf der Corrida.

Luis Francisco ist danach wieder in seinem Hotelzimmer. Der Mozo de Espadas ("Schwertknappe" wörtlich) hilft ihm die engen, so sorgfältig vorher angepassten und vernähten Kleidungsstücke abzulegen. Sie sind blutverschmiert und werden nach besonderen Regeln gereinigt werden Alejandro kommt und vielleicht kommentieren sie mit knappen Worten noch einmal den Verlauf, die Ereignisse des Tages. Kaum ein Wort fällt zum dramatischen Wendepunkt im Leben beider. Kein Wort zum Abschied und zum Neubeginn. Kein Wort über Nimes... Von Ferne kommen die Geräusche der Nacht. Wir sehen die Verlassenheit der Arena, die Blutspuren im Sand... Dann kommt die Dunkelheit...

Erzählweise:
Es geht um Stiere und um Menschen. Es geht um ein Tabuthema: den Tod. Der wird bei der "Corrida de Toros" in streng ritualisiertem Vorgehen zur Schau gestellt. Er passiert dort und in diesem Moment, vor aller Augen. Vor diesem Hintergrund entwickelt sich die Vater-Sohn Geschichte; eine Initiation und ein Abschied. Parallel dazu und mit zunehmend inhaltlicher Überschneidung erzählen wir das Leben des Toro Bravo.

In ruhigen dokumentarischen Bildern verfolgen wir Biographien, die Sympathie wecken für das Tier und für die Menschen gleichermaßen. Es ist der erste Stierkampf-Film in dem Tier und Mensch gleichrangig behandelt werden.

Am Rande, in äußerst sparsamen, aber um so eindringlicheren visuellen Zeugnissen (Höhlenmalerei, Mothraskult, Europamythos etc.) soll die Bedeutung des Stiers in der Weltkultur betrachtet werden und so der Zuschauer zur Reflektion angeregt werden:

Dieser Kinofilm soll nicht bewerten: Parallelmontage gibt dem Zuschauer Raum, eine eigene Sichtweise zu finden.